Eine Frau und ein Mann stehen vor dem Eingang zum Binnenhof, dem Sitz des niederländischen Parlaments in Den Haag, und betrachten Parteiplakate zur Parlamentswahl am 15. März 2017.

Faktencheck: Die Niederlande vor der Wahl

Am 15. März wählen die Niederländer ein neues Parlament. Immer wieder gelang es der rechtspopulistischen PVV, den Wahlkampf mit anti-islamischer Hetze und der Idee des "Nexit", eines niederländischen EU-Austritts, emotional aufzuladen. Doch zurück zu den Fakten: Wie steht's um Wirtschaft, soziale Lage und globale Verflechtung unserer Nachbarn?

Die Niederlande sind eines von neun europäischen Ländern, das unmittelbar an Deutschland grenzt. Der an der Nordsee gelegene Staat hat rund 17 Millionen Einwohner. Staatsoberhaupt ist König Willem-Alexander, Regierungschef seit Herbst 2010 der Liberal-Konservative Mark Rutte. Wo stehen die Niederlande kurz vor der Wahl? Wir blicken auf wichtige Bereiche in Wirtschaft und Gesellschaft.

Niederlande bei Beschäftigung europaweit auf Spitzenplatz und Jugendarbeitslosigkeit sinkt wieder

Ist mein Job sicher, wird es meinen Kindern später gut gehen und werde ich im Alter genug zum Leben haben? Fragen, die nicht nur die Deutschen, sondern auch unsere niederländischen Nachbarn umtreiben. Im vergangenen August und Novemberveröffentlichten wir zwei Studien, die alle 28 EU-Staaten unter die Lupe nahmen und aktuell verfügbare Daten von 2014 und 2015 auswerteten. Sie zeigen: Bei Beschäftigung und Armutsbekämpfung geht es den Niederlanden im Vergleich insgesamt gut.

Zwar verordnete die seit November 2012 amtierende Regierung aus Liberal-Konservativen und Sozialdemokraten den Niederländern einen strengen Sparkurs, um die Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 zu bekämpfen. Nach wie vor haben unsere Nachbarn mit rund 74 Prozent aber die europaweit zweithöchste Beschäftigungsquote.

Auch kann eine Mehrheit der jungen Niederländer wieder positiv in die Zukunft schauen. Die Jugendarbeitslosenquote war 2015 mit 11,3 Prozent noch immer deutlich höher als vor der Weltwirtschaftskrise, wo sie bei 5,3 Prozent lag. Die letzten Jahre ging sie aber zurück (2013: 13,2 und 2014: 12,7 Prozent) und ist aktuell eine der niedrigsten in der EU. Außerdem weist das kleine Land europaweit die geringste NEET-Rate auf. Diese erfasst, wie viele junge Menschen zwischen 20 und 24 Jahren weder eine Arbeit haben noch in Ausbildung oder Weiterbildung sind. In den Niederlanden sind das derzeit rund 7 Prozent – der EU-Durchschnitt liegt bei etwa 17 Prozent.

Armut ist ein Problem, wird aber vergleichsweise gut bekämpft

In den Niederlanden ist eine Reihe von Menschen arm oder von Armut bedroht. Im europäischen Vergleich versteht es der niederländische Staat aber recht gut, diese wirkungsvoll zu bekämpfen. 2015 waren etwa 17 Prozent der Niederländer armutsgefährdet. Das ist der drittniedrigste Wert in der EU. Daneben hat das Land die niedrigste Altersarmutsquote (Bürger ab 65 Jahren) und die fünftniedrigste Kinder- und Jugendarmutsquote (Kinder und Jugendliche bis 17 Jahren).

Auch in Sachen Sozial- und Rentenpolitik schneiden die Niederlande vergleichsweise gut ab. So wies der westeuropäische Staat beispielsweise 2014 mit 45 Prozent eine überdurchschnittliche Kinderbetreuungsquote auf (EU-Durchschnitt 28 Prozent) und das niederländische Rentensystem hat nach wie vor EU-weit Vorbildcharakter. Wie in anderen europäischen Staaten, so setzt der demographische Wandel aber auch in den Niederlanden das Rentensystem zunehmend unter Druck und machte Reformen nötig, deren Ausgang ungewiss ist.

Verschuldung privater Haushalte, mangelhafte Arbeitsmarktintegration junger Einwanderer und ältere Arbeitslose bereiten Kopfzerbrechen

In einigen Bereichen sind die Niederlande also insgesamt gut aufgestellt. Doch es gibt auch große Baustellen. So ist der Wohlstand zunehmend ungleich verteilt, die Schere zwischen der gut verdienenden Oberschicht und der Mittel- und Unterschicht geht auseinander. Ein wesentlicher Grund: Die Verschuldung vieler privater Haushalte – europaweit eine der höchsten.  

Außerdem rangieren unsere Nachbarn mit einer niedrigen Arbeitslosenquote von 6,9 Prozent und einer ebenfalls niedrigen Langzeitarbeitslosenquote von 3 Prozent zwar europaweit im vorderen Mittelfeld. Eine Reihe großer und kleiner Volkswirtschaften, wie Deutschland oder Dänemark, zeigt aber: Es geht besser.

Darüber hinaus sind junge Einwanderer und ältere Arbeitslose in der niederländischen Berufswelt oft abgehängt. Junge Migranten in den Arbeitsmarkt zu integrieren, gelingt nur mangelhaft. Im EU-Vergleich belegen die Niederlande hier den vorletzten Platz. Außerdem haben Niederländer ab 50, die arbeitslos sind, oft schlechte Chancen, wieder einen Job zu finden.

Eine Analyse von Prof. em. Robert Hoppe, der an unserer Studie vom Sommer 2016 mitgearbeitet hat, zeigt außerdem: Der niederländische Steuerapparat lässt an Effektivität zu wünschen übrig und in einigen Bereichen, wie dem Justizsystem, der Verkehrsinfrastruktur und der Energieversorgung, sind dringend Reformen nötig. Auf die neue niederländische Regierung warten also noch große Aufgaben.

Wahlen in Europa

Wähler der PVV fürchten sich am meisten vor der Globalisierung

Als ehemalige Kolonialmacht in Asien, Afrika, Südamerika und der Karibik sind die Niederlande traditionell global orientiert. In Europa arbeiten die Niederländer seit den 1950er Jahren politisch und wirtschaftlich besonders eng mit Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien und Luxemburg zusammen. Von Beginn an waren unsere Nachbarn an allen wichtigen Schritten hin zur heutigen EU, wie der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1951 oder der Unterzeichnung der "Römischen Verträge" 1957, beteiligt. Nicht von ungefähr wurde 1992 auch der Gründungsvertrag der Europäischen Union im niederländischen Maastricht unterzeichnet.

Doch einige Niederländer fürchten die Folgen der Globalisierung, wie unsere Umfrage vom August 2016 zeigt: Rund 40 Prozent sehen sie als "bedrohlich" an. Unter allen Anhängern und Wählern der niederländischen Parteien sind Globalisierungsängste bei der rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid (PVV) mit Abstand am stärksten ausgeprägt. Rund 57 Prozent der PVV-Sympathisanten empfinden die Globalisierung und ihre Folgen als Bedrohung. Eine Grundhaltung, die auch bei der Wählerschaft anderer rechter Parteien in Europa zu beobachten ist. In den Niederlanden drückt sie sich nicht zuletzt in zahlreichen abwertenden Äußerungen des PVV-Vorsitzenden Geert Wilders gegenüber Einwanderern muslimischen Glaubens, der Forderung, mit dem Schengen-Abkommen zu brechen, und der Idee des "Nexit", eines EU-Austritts der Niederlande, aus.

Wer aber sind die Unterstützer und Wähler von Geert Wilders? Das haben wir in einer Kurzanalyse untersucht.

Einzig bei den Wählern der PVV hat eine Mehrheit Angst vor der Globalisierung. Bei der Socialistischen Partij (SP), der sozialdemokratischen Partij van de Arbeid (PvdA), den linksliberalen Democraten 66 (D66), der christdemokratischen Partei Christen Democratisch Appèl (CDA) und der liberal-konservativen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) sind die Globalisierungsskeptiker in einer klaren oder starken Minderheit.

Niederlande profitierten zuletzt von der Globalisierung

Unsere Umfrage verdeutlicht aber auch: Eine Mehrheit von 60 Prozent der Niederländer sieht in der Globalisierung eher Chance denn Bedrohung. Unser aktueller Globalisierungsreport untermauert diese Ansicht: Im Untersuchungszeitraum 1990 bis 2014 vernetzten sich die Niederlande weltweit immer stärker. Das führte dazu, dass das reale Bruttoinlandsprodukt jährlich pro Einwohner um 690 Euro höher ausfiel als ohne voranschreitende Globalisierung. Kaufkraftbereinigt liegt der Zugewinn pro Kopf sogar bei 840 Euro. Das zeigt: Durchschnittlich haben auch niederländische Konsumenten von der voranschreitenden Globalisierung profitiert.

Global vernetzt zu sein, zahlt sich für die Niederlande mit Blick auf das reale Bruttoinlandsprodukt aus. Im EU-Vergleich schneidet eine Reihe von Staaten allerdings noch besser ab.

Als kleines Land mit einem kleinen Binnenmarkt sind die Niederlande in erheblichem Maße darauf angewiesen, wirtschaftlich offen und global vernetzt zu sein. Der Bevölkerung scheint das mehrheitlich klar zu sein. Das kann für die anstehende Wahl zuversichtlich stimmen.